Viel Kritik gab es an Kevin Kühnerts Enteignungsforderung. Von rechts erstaunt sie nicht, umso mehr aber aus der eigenen Partei. Denn: die SPD verbaut sich damit die Möglichkeit, wieder Volkspartei zu werden.
Kevin Kühnert kriegt gerade viel auf den Deckel. Er hat laut darüber nachgedacht, dass Alternativen zum Kapitalismus möglich sind. Das Problem? Kevin ist Mitglied der SPD, einer Partei, die sich Alternativen über Jahrzehnte systematisch verboten hat. Wer Visionen hat, sollte in den Keller gehen, nicht aber ins Willy-Brandt-Haus.
Die SPD kennt keine Alternativen mehr
Die politische Alternativenproduktion ist seit Langem – zumindest auf der Linken – weitgehend an die Linkspartei (Überwindung des Kapitalismus) und die Grünen (ökologische Transformation) ausgelagert. Zumindest letztere schickt sich an, eine neue Volkspartei zu werden. Das Mantra, dass Wahlen nur in der politischen Mitte gewonnen werden und radikale Konzepte dabei nur stören, scheint gebrochen.
Kevin Kühnert hat nun etwas gewagt, was sonst nur Abgewanderte oder Parlamentarische Linke, die niemand ernst nimmt, wagen: Er hat „Alternative“ gesagt. Alternativen zum aktuellen Wirtschaftssystem, Alternativen aber auch zur Wir-machen-alles-mit-Politik der staatspolitischen Verantwortung der SPD-Spitze. Das konnte das Parteiestablishment nicht auf sich sitzen lassen: Bei Johannes Kahrs pulsierte die Halsschlagader sichtbar,als er Kevin nach einem Rezept für sozialdemokratische Politik fragte (er suchte sie im Drogenkonsum). Selbst Lars Klingbeil, der die Partei aus dem Umfragetief herausführen und erneuern soll, stellte sich gegen die Thesen des Juso-Chefs.
Die SPD wird visionslos unwählbar
Dass Kritik von CDU und CSU kommt und Christian Lindner dankend aufspringt, weil er „Planwirtschaft“ sagen kann, war zu erwarten. Dass die SPD, die sich Erneuerung auf die Fahnen geschrieben hat, diese Vorschläge so hart angreift, erstaunt dagegen.
Die SPD verschenkt damit das letzte mittelfristige Wählerpotential, das sie hat. Denn die CDU kann rüberbringen, dass sie Deutschland bestens verwaltet und kleine Verbesserungen zulässt, solange die Verhältnisse dadurch kaum angetastet werden. Die FDP kann Innovation rufen und alle, die nicht weiter darüber nachdenken, werden ihr folgen. Utopisches Potential gibt es links und grün der SPD. Welcher gesellschaftliche Ort aber bleibt einer visionslosen, schwachen SPD?
Mittelfristig keiner, wie die Entwicklungen in anderen europäischen Ländern zeigen. Nur, wenn die Sozialdemokratie wieder einen Kompass entwickelt, wo gesellschaftliche Entwicklungen hingehen könnten und sich daran orientiert, wird sie für Menschen wählbar bleiben. Kevin Kühnert hat dazu sehr naheliegende Vorschläge gemacht. Vielleicht sollte die SPD mehr Kevin wagen, anstatt sich an die Regierungsbank zu ketten.